Hände eines Jugendlichen halten einen Stift und grünen Zettel mit Aufschrift "Teilhabe, Chancengerechtigkeit, Normen"

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03. April 2023
Jugendverbandsarbeit in der Polykrise stärken

Kriege, Naturkatastrophen, Rassismus, jegliche Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Pandemiefolgen, wachsende Kinder- und Jugendarmut, Klimakrise – das sind nur einige der aktuellen Herausforderungen, mit denen sich Jugendverbände konfrontiert sehen.

In dieser Polykrise zeigt sich: Verlässliche und starke Strukturen der Jugendverbandsarbeit tragen wesentlich dazu bei, Engagement von jungen Menschen so zu organisieren, dass es flexibel auf neue Notwendigkeiten reagieren kann. Jugendverbänden muss es ermöglicht werden, den vielfältigen Ansprüchen, die durch die Gesellschaft an sie herangetragen werden, gerecht zu werden. Dafür braucht es eigenständige und nachhaltige Strukturen, bessere Rahmenbedingungen und bedarfsgerechte Förderinstrumente. Wir, die djo – Deutsche Jugend in Europa, sehen es als unser Kernthema, Engagement von jungen Menschen zu fördern. Ein besonderer Fokus unserer Arbeit liegt darauf, (post)migrantischen[1] Jugendverbänden Zugänge zu strukturellen Ressourcen zu verschaffen. Doch stehen sie den aktuellen Herausforderungen besonders exponiert gegenüber.

Die Polykrise hat massive Auswirkungen auf junge Menschen.

  • Immer mehr Menschen flüchten vor Krieg, staatlicher Gewalt und Naturkatastrophen. (Post)migrantische Jugendverbände sind oftmals die ersten, die geflüchteten Kindern und Jugendlichen bei der Flucht und ihrem Ankommen in Deutschland als Anlaufstelle zur Verfügung stehen. Sie leisten humanitäre Hilfe in Krisenregionen im Ausland und vertreten die politischen Interessen ihrer Communities gegenüber Politik und Gesellschaft in Deutschland.
  • (Post)migrantische Jugendliche und ihre Selbstorganisationen erleben auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Formen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Diese gemeinsamen Erfahrungen haben teilweise eine verbindende Komponente. Sowohl struktureller Rassismus als auch innermigrantischer Rassimus erschweren es ihnen, Räume für das eigene Empowerment zu schaffen.
  • Die Corona-Pandemie hat nachweislich zu einer Zunahme von psychischen Belastungen geführt, insbesondere auch bei Jugendlichen. In der Zeit der pandemiebedingten Einschränkungen konnten junge Menschen entscheidende Entwicklungsaufgaben nicht bewältigen.
  • Die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen der Jugendverbände wie Ferienfreizeiten, Kurse und internationale Begegnungen sowie die Ausbildung zu Jugendleiter_innen aktiviert junge Menschen für langfristiges, ehrenamtliches Engagement. Hier besteht ein hoher Aufholbedarf für Jugendliche, denen pandemiebedingt diese wichtigen Zugänge zum Ehrenamt verschlossen blieben.
  • Gerade (post)migrantische Jugendverbände sprechen Zielgruppen an, die wenig oder keine Möglichkeiten haben, Mitglieds- und Teilnahmebeiträge zu leisten. Sie kämpfen deshalb oft mit Finanzierungsschwierigkeiten, da sie Eigenmittel, die sie laut Anforderungen vieler Fördermittelgeber_innen benötigen, nicht beschaffen können.
  • Die Klimakrise bleibt für die jungen Menschen eines der drängendsten Probleme.

In Anbetracht dieser Krisen, die die Jugendverbandsarbeit bewältigen muss, sind starke Strukturen in den Verbänden unabdingbar. (Post)migrantische Jugendverbände können jedoch nicht ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung in Konkurrenz zu etablierten Jugendverbänden gesetzt werden. Sie benötigen finanzielle Unterstützung zum Aufbau eigenständiger, nachhaltiger Strukturen.

Konkret fordern wir:

  • Aufbau ermöglichen: Wir fordern Programme, um (post)migrantischen Jugendverbänden den Auf- und Ausbau von eigenständigen, nachhaltigen und überregionalen Jugendstrukturen zu ermöglichen. Innerhalb der Kinder- und Jugendpläne des Bundes und der Länder sollten entsprechende Förderinstrumente und Modellprojekte entwickelt und implementiert werden. Insbesondere brauchen diese Verbände starke hauptamtliche Strukturen, die ihre Arbeit absichern und die strukturellen Benachteiligungen ausgleichen.
  • Rahmenbedingungen: Die Bedingungen in öffentlich finanzierten Projekten gestalten sich oftmals so, dass sie Engagement eher unterdrücken als fördern. Anforderungen an Eigenmitteleinsatz, das Jährlichkeitsprinzip oder verspätete Bewilligungen treffen (post)migrantische Jugendverbände besonders stark und verstärken bestehende Benachteiligungen.
  • Dynamisierung: Jugendverbände und ihre Strukturen sichern Engagement in der Breite. In Anbetracht regelmäßiger Kostensteigerungen und Tariferhöhungen braucht es eine Dynamisierung ihrer Förderung, um ihr Handeln langfristig abzusichern.
  • Kostensteigerungen: Mit steigender Inflation müssen auch Förderinstrumente schneller und flexibler an die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden. Pauschalen und Tagessätze müssen regelmäßig angepasst werden (hier z. B. im Kinder- und Jugendplan des Bundes; Bundesreisekostengesetz).
  • Jugend braucht Raum: Jugendverbände und -gruppen brauchen kostengünstige oder kostenfreie Zugänge zu Räumlichkeiten für Gruppentreffen, Verwaltung und Freizeitaktivitäten. Ohne Räume können sich Jugendliche nicht selbst organisieren.
  • Menschen stärken Menschen: Das Bundesprogramm „Menschen stärken Menschen“ muss ausgebaut und verstetigt werden. Es leistet einen wesentlichen Beitrag dafür, dass (post)migrantische Jugendverbände ihre Unterstützung bei der Integration von Geflüchteten und die Stärkung von Teilhabemöglichkeiten von benachteiligten Jugendlichen professionell gestalten können. Ohne das Programm würde dieses wichtige Engagement nicht aufrechterhalten werden können.
  • Demokratie leben! öffnen: Jugendverbände sind Werkstätten der Demokratie und (post)migrantische Jugendverbände gestalten die Einwanderungsgesellschaft Deutschland entscheidend mit. Daher braucht es bessere Zugänge für (post)migrantische Jugendverbände im Bundesprogramm „Demokratie leben!“.
  • Jugendorte zukunftssicher machen: Die Zukunftssicherheit von gemeinnützigen Jugendzentren, Jugendbildungs- und Freizeitstätten als wichtige Orte der Jugendarbeit ist gefährdet. Die Orte müssen daher angesichts der aktuellen Krisen zusätzlich unterstützt werden. Wir fordern, diese Orte durch gezielte Förderprogramme zu erhalten und auszubauen, um sie auch zukünftig für die Jugendarbeit nutzen zu können.

Insgesamt muss es (post)migrantischen Jugendstrukturen ermöglicht werden, empowermentorientierte Räume wie z. B. eigenständige Jugendverbände für sich zu gestalten. Menschen, die rassistische Ausgrenzungserfahrungen miteinander teilen, benötigen eigene Räume, um sich als Individuen und Gemeinschaft zu stärken.


[1] Wir verwenden den Begriff „(post)migrantisch“ mit der Vorsilbe „post“ in Klammern, um unsere Zielgruppen, junge Menschen mit eigener oder familiärer Migrationsgeschichte, in ihrer Vielfalt und Heterogenität zu beschreiben. Diese umfassen neben Vereinen junger Migrant_innen (VJM) und Migrant_innenjugendselbst-organisationen (MJSO) auch postmigrantische und neue deutsche Jugendorganisationen sowie Zusammenschlüsse von BIPoC (Black, Indigenous and People of Color). “Postmigrantisch” ohne Klammer verwenden wir hingegen, wenn wir im Sinne Naika Foroutans die normative Vision einer deutschen Gesellschaft beschreiben, in der Eingewanderte und ihre Nachkommen das kollektive Narrativ mitprägen und Repräsentationslücken diesbezüglich geschlossen sind (vgl. https://www.bpb.de/themen/migration-integration/kurzdossiers/205190/die-postmigrantische-gesellschaft/).

 

Einstimmig verabschiedet auf dem 67. Bundesjugendtag 2023, der vom 24.-26.03.2023 in Duderstadt stattfand.

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