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08. Februar 2023
Interview mit Arian von Ayande – Jung, vielfältig, postmigrantisch

Für die Ausgabe unserer Verbandszeitschrift der PFEIL von Dezember 2022 mit dem Thema „Diversitätssensible Jugendverbandsarbeit“ haben wir ein Interview mit Arian von Ayande geführt, der darin von Diversitätsbewusstsein, Konflikten und Utopien spricht. 

Kannst du dich kurz vorstellen und sagen, was du machst?

Ich bin Arian, ich bin 29 und engagiere mich bei Ayande. Ich habe in Marburg Politik und Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens studiert und bin dann durch mein diverses Engagement auf die Iranische Gemeinde gestoßen. Nach mehreren Projekt- und Hilfskraftstellen arbeite ich dort nun hauptamtlich. Ich hatte schon länger bemängelt, dass bei iranischen Vereinen die ich kannte, jugendliches Engagement vollständig fehlt. Da kam der Vorstandssprecher der Iranischen Gemeinde auf mich zu und meinte: Lass uns das in Angriff nehmen. Ayande ist entstanden. Wie gerufen kam dann das JEM-Projekt der djo mit Mentoring- und Coachingangeboten zu der Frage, wie man einen Jugendverband gründet. Unser Team ist relativ schnell gewachsen und diverser geworden — mit Menschen aus der persischsprachigen Community, Menschen ohne migrantischen Background oder aus der türkisch- und arabischsprachigen Community. Das Spannende bei uns, was uns ein bisschen von anderen Jugendorganisationen und migrantischen Verbänden unterscheidet, ist, dass wir der iranischen Community entstammen, die sehr vielfältig ist. Das Selbstverständnis dieser Community ist aus diesem Vielvölkerstaat und dem Verständnis von Mehrsprachigkeit, mehrerer Ethnien, Religionskonfessionen und mehrerer Volksgruppen gewachsen. Uns vereint vor allem die Erfahrung von Unterdrückung durch den aktuellen iranischen Staat. Aus diesem Diversitätsbewusstsein entwickelt auch die Iranische Gemeinde seine Ideale für ein Zusammenleben in Deutschland, was uns als Kinder der zweiten Generation natürlich prägte. Bei Ayande sind wir einen Schritt weitergegangen und sagen: Wir verstehen uns nicht nur als deutsch-iranische Jugendorganisation, sondern sind offen für Menschen beispielsweise syrischer, afghanischer, tadschikischer, türkischer Abstammung. Wir wollen alle ansprechen, die sich als postmigrantisch sehen und gewisse Erfahrungen und Erlebnisse, die sie hier machen, teilen.

Gibt es da Schnittstellen zu anderen postmigrantischen Jugendverbänden?

Da sind wir total dankbar für JEM. Aus dem Projekt ist schnell ein Netzwerk mit anderen Jugendorganisationen entstanden. Gleich zu Beginn ist uns schon aufgefallen, dass beispielweise die Yezidische oder Pontosgriechische Jugend eine ganz bestimmte Zielgruppe haben und bestimmte Themen platzieren. Wir haben es uns da etwas schwerer gemacht. Wir pflegen den Kontakt mit den anderen Verbänden. Wir versuchen, deren Themen wahrzunehmen und in unsere Programmatik mit aufzunehmen. Beispielsweise hat sich kürzliche der Genozid im ehemaligen Osmanischen Reich gejährt. Wir haben an einer Veranstaltung der Pontosgriechische Jugend teilgenommen. Das war sehr prägend und daraufhin war klar: Wir müssen in der Satzung von Ayande verankern, wie wir mit der Verleugnung von Genoziden umgehen. Das ist gerade deswegen so wichtig, weil wir so breit aufgestellt sind und die Gefahr natürlich groß sein kann, dass Konf likte entstehen.

Wenn du, wie ihr sagt, eine breite Zielgruppe habt, was ist da der gemeinsame Nenner?

Die Antwort auf diese Frage entwickelt sich momentan sehr dynamisch in unserer Mitte. Es ist ein spannender Identitätsprozess. Wir wollen das offen verhandeln und fragen: Anhand welcher Faktoren lässt sich Identität bestimmen? Ist Identität fluide? Ist sie für uns als postmigrantische Jugendliche greifbar? Was ist unsere Identität als Postmigras? Unser gemeinsamer Nenner ist das postmigrantisch sein. Jung, vielfältig, postmigrantisch — so lautet unser Slogan. Wir machen Erfahrungen, die Menschen aus der weißen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland nicht machen. Wir bringen Perspektiven und kulturelle Werte mit, die einen Mehrwert für die Gesamtgesellschaft haben. Mit diesem Bewusstsein möchten wir andere junge Menschen aus der postmigrantischen Gesellschaft empowern und wollen gezielte politische, gesellschaftliche und kulturelle Partizipation in den Fokus stellen.

Je mehr Perspektiven, Erinnerungen und Erfahrungen zusammenkommen, desto mehr Konfliktpotential, oder?

Bisher hatten wir noch keine Konflikte. Fraktionen haben sich bei der Frage gebildet, wie wir uns positionieren. Grenzen wir uns ein oder nicht? Definieren wir unsere Zielgruppe oder nicht? Was verbindet uns? Da haben wir unterschiedliche Auffassungen. Das war schwierig. Aktuell arbeiten wir viel zu Erinnerungskultur. Wir schauen uns an, was es mit uns als Kinder der Diaspora macht, wenn unsere Elterngeneration als politische Geflüchtete oder Kriegsgeflüchtete nach Deutschland gekommen sind. Auch das hat Konfliktpotential. Das sind große Fragen, die gerade aufkommen und wo wir auch eine Verantwortung sehen, uns damit auseinanderzusetzen — nicht nur mit Konflikten aus den Herkunftsländern unserer Eltern, auch mit dem Holocaust. Wir beobachten Antisemitismus und Judenhass auch in der migrantischen Community.

Wie politisch seid ihr?

Sehr politisch, wenn es um die Gesellschaft hier in Deutschland geht. Nicht politisch, wenn es um außenpolitische Fragen geht. Foto © Nihad Nino Pušija Nr. 2 Dezember 2022 Das ist der Konsens bei uns. Das hat auch damit zu tun, dass viele junge Menschen mit iranischen Hintergründen Angst haben, nicht mehr in den Iran reisen zu können, wenn sie sich zu Themen, die den Iran betreffen, kritisch äußern.

Habt ihr eine Utopie?

Wir sehen, dass sich die postmigrantische Gesellschaft politisiert hat aufgrund verschiedener Ereignisse, wie beispielsweise Hanau oder Halle. Es gab Zusammenschlüsse, die die Antirassimusarbeit in weite Teile der Gesellschaft getragen haben. Wir beobachten auch, dass eine Dualität entstanden ist zwischen der Postmigrationsgesellschaft und der weißen Mehrheitsgesellschaft — ohne dass dabei reflektiert wird, wie Diskriminierungsmechanismen und Rassismus auch innerhalb migrantischer Communities existieren. Eine Utopie ist es, dass wir auch in unseren eigenen Communities diversitätsensibler interagieren und historische Aufarbeitung machen. Wir glauben, dass dadurch Asymmetrien zwischen verschiedenen Volks- und Religionsgruppen aufgearbeitet werden können. Auch Queerfeindlichkeit können wir nicht auf die weiße Mehrheitsgesellschaft abwälzen. Auch da kann uns die Geschichte helfen, denn Queerness war auch in unseren Herkunftsregionen in verschiedenen Epochen und bis zu Beginn der Moderne nachweisbar.

Zur gesamten PFEIL-Ausgabe gelangt ihr hier!

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