Eine Person im Rollstuhl auf einer Halfpipe auf die Hand gestützt

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18. August 2022
Interview mit David Lebuser von SIT‘N‘SKATE – Destroying Stereotypes

Für die Juni Ausgabe unserer Verbandszeitschrift der PFEIL mit dem Thema „Inklusion in der Jugend(verbands)arbeit“ haben wir ein Interview mit David Lebuser geführt. Er ist einer der Gründer von SIT’N’SKATE, ein Projekt, mit dem Teilhabe und Inklusion im Skatepark und im Alltag gefördert wird.

 

Was machst du für Arbeit und welche Aspekte sind dir hier besonders wichtig?

SIT’N’SKATE macht in aller erster Linie Skatekurse für Rollstuhlfahrer*innen, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Dabei lernen unsere Teilnehmenden spielerisch das Rollstuhlfahren und werden sicherer im Umgang damit, selbstbewusster und selbstständiger im Alltag. Es schweben aber viele weitere Ziele damit einher, z.B. die Sichtbarkeit von behinderten Menschen und das Zerstören von Narrativen, wie das des hilflosen und leidenden Rollstuhlhfahrenden.

Hast du das Gefühl, es gibt genügend Sport- und Freizeitangebote für Menschen mit Behinderung?

Leider ist es vor allem außerhalb der großen Städte oft so, dass es gar keine Sport- und Bewegungsangebote für behinderte Menschen gibt. Viele Familien müssen stundenlang zu den Vereinen und Angeboten fahren, jede Woche und nicht alle können dies leisten. Somit fallen da viele auch raus. Die haben dann einfach keine Möglichkeiten sich zu bewegen und von anderen Rollstuhlfahrenden zu lernen. Ohne diese Angebote fehlen wichtige Vorbilder der eigenen Lebensrealität von denen man Dinge lernen kann, die einem die eigenen Eltern mangels eigener Erfahrung nur schwer beibringen können.

Auf eurer Website schreibt ihr von „DESTROYING STEREOTYPES“ — mit welchen Stereotypen wirst du konfrontiert und wie zerstörst du diese?

In der öffentlichen Wahrnehmung sind behinderte Menschen noch zu oft hilflos, traurig und sie leiden enorm. Wir wollen dieses Narrativ zerstören und zeigen wie vielfältig wir sind. Wir skaten, reisen, machen Kunst, Kultur, gehen auf Konzerte oder chillen auf der Couch bei Netflix oder Playstation. Wir sind genauso divers wie der Rest der Gesellschaft und es hilft uns nicht, wenn alle wehleidig auf unser herabblicken. Wir wollen unseren Beitrag zu dieser Veränderung liefern, indem wir Fotos und Videos aus dem Skatepark zeigen und auch die Skateszene inklusiver mitgestalten. Natürlich wird nicht jede*r Rollstuhlfahrer*in dann gleich Skater*in, aber es zeigt hoffentlich, dass nicht alle leidend und weinend zuhause die Wand anstarren.

Wieso ist Inklusion deiner Meinung nach so wichtig?

Miteinander aufwachsen, lernen und leben ist für uns der einzige Weg zu einer diskriminierungsfreien und inklusiven Zukunft. Nur wenn schon Kinder früh die Diversität unserer Gesellschaft kennenlernen und mit den unterschiedlichen Bedürfnissen in Berührung kommen, dann werden sie später auch bei Planung und Bau, in der Politik oder wo auch immer in der Gesellschaft mitdenken. Außerdem werden dann viel mehr Menschen mit Behinderung eine gleichwertige Bildungslaufbahn einschlagen können und somit viel effektiver mitgestalten können. Dass Inklusion heute so oft an Grenzen stößt, ist vor allem dem geschuldet, dass die meisten Menschen gar keine Berührungspunkte mit behinderten Menschen hatten.

Welche Rolle spielen die Eltern von behinderten Kindern und Jugendlichen in deiner alltäglichen Arbeit und wie baust du euer Netzwerk weiter aus?

Kinder und Jugendliche gehören zu unserer Hauptzielgruppe. Hier sehen wir unsere größte Wirkung, insbesondere den größten und nachhaltigsten Lerneffekt, denn wer früh lernt mit seinem Rollstuhl sicher umzugehen, hat im späteren Leben damit weniger Probleme und kann leichter mit seinen gleichaltrigen Freund*innen mithalten und so eine altersgerechte Entwicklung durchleben. Die Eltern sind unsere sekundäre Zielgruppe, sie lernen loszulassen und ihrem behinderten Kind mehr Freiraum zu geben. Bei all der Pflege und Assistenz ist das oft sehr schwierig und wir wollen dabei helfen. Auch Kinder mit Pflege- und Assistenzbedarf müssen die Chance bekommen, sich von ihren Eltern zu lösen und so zu selbstständigen und vor allem selbstbestimmten Erwachsenen zu werden. Unser Netzwerk spinnt sich an vielen Stellen weiter, hauptsächlich aber durch klassische Mundpropaganda. Das Weitersagen, insbesondere von Eltern an Eltern, bringt uns die meisten neuen Teilnehmenden. Ansonsten machen wir möglichst viel digital, über Social-Media, einen Newsletter und wir basteln gerade an einer neuen Webseite, auf der es dann auch viele Schulungsvideos geben soll, rund um das Rollstuhl fahren und skaten. Natürlich immer mit einer Prise SIT’N’SKATE Humor.

Inwieweit hat sich das Thema Inklusion politisch und gesellschaftlich im Laufe der Zeit deiner Meinung nach verändert?

Anfangs war Inklusion in Politik und Medien eigentlich nur in Schule und Arbeit präsent. Das ist zwar immer noch oft so, aber immer mehr wird es zu dem gesamtgesellschaftlichen Thema, das es eigentlich schon immer war. Wir arbeiten z.B. viel im Sportbereich und werben dort für mehr inklusive Angebote oder bringen uns in SkateparkPlanungen mit ein, damit die Skateparks in Zukunft problemlos von Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam genutzt werden können. Leider mangelt es bei den großen Themen immer noch am politischen Willen und so haben wir nach wie vor keine verpflichtende Barrierefreiheit. Neue Läden, Cafés, Restaurants oder sogar Arztpraxen können nach wie vor Rollstuhlfahrer*innen ausschließen und haben nichts zu erwarten, mangels gesellschaftlichen Drucks oft nicht mal einen Shitstorm. Wir wünschen uns mehr Solidarität in dem Gebiet und von der Politik mehr klare Kante.

Wie können Kinder- und Jugendverbände deiner Meinung nach einen Beitrag zur Inklusion leisten?

Gerade in der partizipativen Arbeit sehen wir großes Potential, denn wenn Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung gemeinsam Lösungen für Probleme finden oder Angebote entwickeln und an Themen arbeiten, dann entstehen inklusive und gemeinschaftliche Dinge. Ein guter Startpunkt und hoffentlich dann die Generation, die den besagten Willen hat, die Rechte einzufordern und umzusetzen, für eine inklusive Gesellschaft!

© Pascal Lieleg, Handplant by Bowlshit

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