Rund zwei Millionen Kinder mussten laut UNICEF seit Kriegsbeginn aus der Ukraine fliehen. Es ist weiterhin unklar, wie viele von ihnen bereits in Deutschland angekommen sind und wie viele noch folgen werden. Es ist von einer deutlichen Untererfassung bei den Anmeldungen auszugehen. Der Krieg kann noch Monate vielleicht aber auch Jahre dauern und weitere Fluchtbewegungen nach Deutschland auslösen. Ein Ausblick, was auf uns zukommt, lieferte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz: Sie rechnet in Deutschland mit allein bis zu 400.000 Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter. Es braucht daher eine vorausschauende Strategie, wie die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine in Deutschland kurzfristig aber auch langfristig gestaltet werden kann. Wir müssen davon ausgehen, dass viele der jetzt ankommenden Kinder und Jugendlichen einen Großteil, wenn nicht sogar ihre gesamte Kindheits- und Jugendphase in Deutschland verbringen werden.
Kinder und Jugendliche auf der Flucht sind besonders vulnerabel
und werden durch traumatisierende Erfahrungen auf der Flucht belastet. Gleichzeitig stehen sie aber auch vor großen sozialen Herausforderungen in Deutschland. Ihre Familie wurden möglicherweise auf der Flucht getrennt, den Vätern ist meist die Ausreise verwehrt. In Deutschland leiden dann auch die Eltern unter der seelischen Belastung durch Krieg und Flucht und stehen vor eigenen großen Herausforderungen, wie Spracherwerb und Arbeitssuche. Hinzu kommen meist eine schwierige, nicht immer kindgerechte Unterbringung sowie starke finanzielle Einschränkungen der Familien. Die spezifischen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen können daher nicht allein in den Familien die nötige Berücksichtigung und Unterstützung erfahren.
Wir als Jugendverband
mit einer großen Zahl an Mitgliedsorganisationen und Unterstrukturen, die einen PostOst-Bezug aufweisen, also einen Bezug zu den Ländern in Mittel- und Südosteuropa, sind in dieser Situation besonders gefragt. Aufgrund unserer Netzwerke und Kontakte in der Region erreichen wir Kinder und Jugendliche aus der Ukraine oftmals bereits bevor sie zum ersten Mal in Deutschland offiziell erfasst werden, teilweise stehen wir mit ihnen und ihren Eltern bereits auf ihrer Flucht im Kontakt. Aufgrund dieses besonderen Zugangs, unserer Erfahrungen in der außerschulischen Jugendarbeit mit Geflüchteten und den spezifischen Sprachkompetenzen in unseren Strukturen bilden wir ein wichtiges ergänzendes Glied zwischen der Kinder- und Jugendhilfe und den öffentlichen Angeboten insbesondere durch Kita und Schule.
Unsere Strukturen haben Angebote entwickelt
und so bereits in den ersten Kriegswochen tausende Kinder und Jugendliche aus der Ukraine erreicht. Sie begleiten Familien bei Ämtergängen, bieten Sprachmittlung an und vermitteln Kinder und Jugendliche in andere Angebote im Sozialraum. Diese Arbeit findet fast ausschließlich ehrenamtlich und ohne nennenswerte öffentliche Förderung oder Unterstützung statt. Was in den ersten Wochen und Monaten leistbar war, wird nun aber immer mehr zu einer Überlastung. Dieses Engagement braucht dringend eine schnelle und unbürokratische finanzielle Unterstützung.
Die schnelle Bereitstellung von Kitaplätzen und die Öffnung von Schulen
sind darüber hinaus wichtige erste Schritte, um Kindern und Jugendlichen ein Ankommen zu ermöglichen. Wichtig sind aber nicht nur die Angebote selbst, sondern auch ihre Ausgestaltung. Wichtig ist, dass das „Willkommen“ für Kinder und Jugendliche auch als innere Haltung erfahrbar ist und sie eine altersgerechte soziale Unterstützung erhalten. Dabei sollte der Fachunterricht nicht der einzige Schwerpunkt sein. Praktisches Lernen, Ausflüge und gemeinsame Aktivitäten auch mit anderen Klassen sollten im Vordergrund stehen. Die Anleitung sollte nicht nur ukrainischstämmigen Lehrkräften überlassen werden, sondern im Idealfall aus einer Zusammenarbeit unterschiedlicher Pädagog_innen einer Schule heraus erwachsen. Schulen brauchen dafür auch fachliche Unterstützung, Fortbildungs- und Austauschmöglichkeiten.
Für Kinder und Jugendliche ist eine nachhaltige Perspektive besonders wichtig.
Sie wissen nicht, mit welcher Zukunftserwartung sie in der Schule lernen, Freundschaften aufbauen und Bindungen eingehen. Auch wenn die Hoffnung besteht, dass der Krieg bald endet und sie zurückkehren können, müssen wir im Interesse der ukrainischen Kinder und Jugendlichen davon ausgehen, dass sie im schlimmsten Fall einen Großteil ihrer Kinder- und Jugendzeit in Deutschland verbringen werden und dann auch hier ihre Schulausbildung abschließen und eine Ausbildung oder ein Studium aufnehmen wollen. Dafür ist es wichtig, dass sie nach einer möglichst kurzen Übergangsphase schnell in die deutschen Regelsysteme integriert werden und das Prinzip Willkommensklassen, wenn überhaupt, nur für eine sehr kurze Orientierungsphase Anwendung findet. Die Kinder sollten in der Regel in eine ihrem Alter entsprechende Regelklasse eingeschult werden und zusätzlich täglich Deutschunterricht erhalten.
Muttersprachliche Angebote sollten aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden,
sie können eine wichtige Ergänzung zum regulären schulischen Bereich bilden und in außerschulischen Angeboten ein konkretes Mittel sein, um soziale Teilhabe zu ermöglichen und Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen der geflüchteten Kinder und Jugendlichen zu stärken.
Schule ist nicht der einzige Ort
an dem ukrainische Kinder und Jugendliche Gemeinschaft und Selbstwirksamkeit erfahren können. Außerschulische Lern- und Begegnungsräume, insbesondere anknüpfend an bereits bestehende Hobbys oder Aktivitäten, der sie in der Ukraine nachgegangen sind, sollten Kindern und Jugendlichen schnell zugänglich gemacht werden. Die ukrainischen Familien sollten nicht allein gelassen werden, diese Angebote selbst zu suchen. Es braucht Vermittlungsangebote in Jugendverbände, Musik- und Sportgruppen, aber auch finanzielle Unterstützung, damit Kinder und Jugendliche sich die soziale Teilhabe auch leisten können.