Hier teilen wir die Stellungnahme der djoNRW zum Krieg in der Ukraine
Wir verurteilen den Angriff auf die Ukraine aufs Schärfste. Nach wie vor sind wir von den Ereignissen schockiert, verfolgen das aktuelle Geschehen und möchten den vielen geflüchteten Menschen so schnell und so gut wie möglich helfen. Wir sind fassungslos über den militärischen Angriff der russischen Regierung auf die Ukraine und seine Menschen. Insbesondere Kinder und Jugendliche sind von den Auswirkungen eines Krieges betroffen. Wir als Jugendverband der Vielfalt distanzieren uns von Krieg, Hass und Diskriminierung in jeglicher Form.
Die djo–Deutsche Jugend in Europa NRW (djoNRW) ist ein Landesverband, der vor 70 Jahren von vertriebenen und geflüchteten jungen Menschen aus den ehemaligen deutschen Ost- und Siedlungsgebieten gegründet wurde. Als Fachverband unterstützen wir heute insbesondere die Selbstorganisation junger Migrant*innen und fördern soziale, kulturelle und politische Teilhabe. Die Arbeit mit jungen Geflüchteten bildet einen Kern unserer Arbeit und wir stehen als Verband für Diversität und Toleranz ein. So ist es für uns in diesem Konflikt auch von besonderer Bedeutung eine differenzierte, antidiskriminierende und rassismuskritische Perspektive einzunehmen. Trotz der Fassungslosigkeit ist für uns klar: Wir dürfen nicht sprachlos bleiben, wenn russischsprachige Menschen Anfeindungen ausgesetzt sind oder Unterschiede zwischen flüchtenden Menschen gemacht werden, die rassistisch motiviert sind. Dass vor dem Krieg in der Ukraine fliehende Menschen aus Drittstaaten aus rassistischen Gründen an der Flucht gehindert werden, ist ein unhaltbarer und beschämender Vorgang.
Allen Kriegsgeflüchteten muss unabhängig von Herkunft und Nationalität Schutz und Hilfe angeboten werden. Möglichst schnell und unbürokratisch. Eine menschenwürdige Asylpolitik ist möglich, in diesem Konflikt wie in anderen Konflikten weltweit. Es ist eine historische Entscheidung, dass die sogenannte „Massenzustrom-Richtlinie“ EU-weit in Kraft getreten ist. Dies bedeutet, dass Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit und Menschen aus Drittstaaten mit ukrainischer Aufenthaltserlaubnis,[1] die aktuell aus der Ukraine fliehen, einen offiziellen Schutzstatus in den EU-Staaten erhalten – das ist der aktuellen Situation mehr als angemessen. Allerdings darf nicht vergessen werden: Es macht keinen Unterschied, ob die Geflüchteten aus der Ukraine, Syrien oder Afghanistan kommen. Dennoch haben viele Flüchtende im Jahr 2015 eine fast gegenteilige Reaktion der europäischen Staaten erfahren, als Grenzen geschlossen bzw. wieder geöffnet wurden, obwohl sie auch vor einem Krieg geflohen sind. Das veränderte Handeln heute ist erfreulich und ernüchternd zugleich. Diese Klassifizierung Schutzsuchender wurde durch die mediale Berichterstattung noch verstärkt, die die Geflüchteten wiederholt in zwei Lager teilte und aufgrund rassistischer Wirkmechanismen unterschiedlich bewertete. Ein verachtenswerter Umgang, der unter keinen Umständen toleriert werden kann.
Wir sehen die große Not der Menschen, die aus der Ukraine fliehen und hoffen, dass die gezeigte europäische Offenheit und Willkommenskultur ein Ankommen in Deutschland fördert und erleichtert. Gleichzeitig müsste eben diese jedoch ausnahmslos allen Geflüchteten geboten werden, die einem ähnlichen Leid ausgesetzt sind. Dabei gibt es kein Maß für Leid und Not, aber ein Maß für einen menschenwürdigen Umgang. Alle Menschen brauchen Schutz und Hilfe und haben die gleichen Bedürfnisse als Mensch, der auf der Flucht ist – die Suche nach Schutz und Sicherheit, für sich und ihre Familien, ganz egal woher sie fliehen, unabhängig davon, welche Nationalität, Religion, sexuelle Orientierung oder Hautfarbe sie haben. Dabei ist es gerade für queere Personen und Familien sehr kompliziert zu fliehen. So können bspw. Transfrauen, bei denen das neue Geschlecht noch nicht in den offiziellen Papieren eingetragen ist, die Ukraine nicht verlassen, weil sie als wehrpflichtig gelten. Ebenso sind andere LGBTQ*-Menschen gerade in einer ungeschützten Situation, die durch das russische Gesetz gegen „Homosexuellen-Propaganda“ noch verschärft wird.
Gerade jetzt ist es wichtig, den Kontakt zur russischen Zivilbevölkerung nicht abreißen zu lassen. Eine notwendige Distanzierung darf nicht mit Pauschalverurteilungen der russischen Bevölkerung einhergehen. Auch in Russland positionieren sich Menschen klar gegen Putins Angriffskrieg. Vor allem junge Menschen kämpfen trotz staatlicher Repressionen für Meinungsfreiheit und Demokratie und riskieren dabei ihr Leben. Auch ihnen gilt unsere volle Solidarität. Russischsprachige wie russischstämmige Menschen in Deutschland haben in aller Regel nichts mit diesem Krieg zu tun – und dennoch erleben viele von ihnen starke Anfeindungen. Viele russische oder mit Russland in Verbindung gebrachte Kinder und Jugendliche sind in Schulen und ihrer Freizeit zurzeit Ausgrenzungen ausgesetzt. Wir wünschen uns daher einen sensiblen Umgang mit dem Thema und eine ebenso differenzierte Sicht der Pädagog*innen auf diesen Konflikt. Gerade russischsprachige Vereine und Verbände junger Menschen sind oft diejenigen, die als erste Anlaufstelle für Fliehende zur Verfügung stehen und diese bei ihrer Ankunft unterstützen – und zwar völlig unabhängig davon, ob jemand aus der Ukraine, Russland, Belarus oder anderen Ländern kommt. In kürzester Zeit wurde hier eine unkomplizierte und bedarfsgerechte Unterstützung von jungen Menschen und Familien aus der Ukraine organisiert. Auch andere Migrant*innenjugendselbstorganisationen (MJSOs) in Deutschland und NRW engagieren sich gerade sehr stark, helfen und unterstützen, auch wenn sie nicht von russischsprachigen Menschen gegründet wurden und keine direkte Betroffenheit aufweisen. Sie handeln aus Solidarität und teilweise aus eigenen Fluchterfahrungen heraus – und dies ungeachtet der Erfahrung, die sie in Europa bei ihrer Flucht gemacht haben. Kinder und Jugendliche sind immer die Leidtragendsten in einem Krieg, in den Kriegsgebieten selbst aber auch hier vor Ort. Sie haben Ängste und Sorgen und können die Situation nur schwer einschätzen.
Eine Zukunft in Frieden in Europa kann jedoch vor allem mit einer jungen Generation über staatliche Grenzen hinweg erreicht werden. Gerade deshalb ist es für uns als Jugendverband von besonderer Bedeutung keinen neuen Hass zu schüren, uns gegen Diskriminierung stark zu machen und eine Solidarität für alle zu leben. Internationaler Jugendaustausch hat das Ziel, nicht nur räumliche, sondern auch zwischenmenschliche Grenzen zu überwinden und Brücken zu bauen. Er steht für Frieden, für Respekt und für Toleranz. Internationale Jugendarbeit ist konkrete Zukunftsarbeit für ein gemeinschaftliches und friedliches Morgen. Wir sind hoffnungsvoll, dass dies gelingen kann, da das Engagement der jungen Bevölkerung Europas in dieser Krisenlage bereits viel bewegt hat. Auch stimmt uns hoffnungsvoll, in unseren Reihen beobachten zu können, wie die ehrenamtlich geleistete Solidarität geflüchtete Menschen über Grenzen hinweg auffängt, einbindet und ankommen lässt – egal, woher sie kommen und egal welchen Hintergrund unsere Gruppen und Gliederungen haben.
[1] Dass die Regelung auch für Drittstaaten-Angehörige gilt, ist bisher in der konkreten Umsetzung nicht final geregelt
Die Stellungnahme wurde von zahlreichen Gruppen und Gliederungen der djoNRW unterzeichnet.
Zur Stellungnahme geht es hier: https://www.djonrw.de/2022/03/22/stellungnahme-ukrainekonflikt/