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28. November 2019
#gesichterderdjo / Maya Yoken von AJM e.V.
Liebe Maya, erzähl uns doch zu Beginn ein bisschen darüber, wo du lebst, wo du herkommst und was du machst.

Shlomo, mein Name ist Maya. Ich bin 24 Jahre alt, wohne zurzeit in Köln und bin deutsche Staatsbürgerin mit assyrischen Wurzeln. Momentan verfolge ich mein Masterstudium der Politikwissenschaften und arbeite zusätzlich als Leitung des Projektes „Jugendverbandsarbeit mit jungen Geflüchteten“ bei der djoNRW e.V. Meine Freizeit verbringe ich am liebsten mit Reisen, Freundinnen und Freunden, Musik, Kochen, langen Gesprächen, Feiern, Schlafen, Basketball spielen und vielem mehr.

Für alle die sich fragen, was Assyrer_innen sind, sei kurz und knapp geantwortet, dass Assyrer_innen eine religiöse und ethnische Minderheit im Nahen Osten darstellen. Sie stammen aus Mesopotamien ab, sind christlichen Glaubens und heutzutage kaum noch in ihrer Heimat wie den heutigen Ländern der Türkei, Syrien, Irak oder Iran zu finden. Dies liegt an verschiedenen und sich immer wiederholenden Diskriminierungen, Verfolgungen, Vertreibungen, Massakrierungen, Massenvernichtungen, dem 1915 durchgeführten Genozid im damaligen Osmanischen Reich, dem Einfall des sogenannten „Islamischen Staates“ in Syrien und dem Irak und vielen anderen Geschehnissen im Laufe der Geschichte. Diese dezimierten das assyrische Volk und zwangen überlebende Assyrer_innen in mehreren Etappen zur Flucht in die Diaspora.

So kommt es, dass mittlerweile mehr Assyrer_innen in Ländern wie der USA, Kanada, Schweden, Australien, Indien, Russland, Frankreich, Belgien und vielen anderen Ländern leben als in denen, wo sie die indigene Bevölkerung darstellen und ich hier in Deutschland geboren bin, lebe und ehrenamtlich für unsere gemeinsame Gesellschaft aktiv bin!

Wo engagierst du dich ehrenamtlich? Und seit wann?

Seit meinem 14. Lebensjahr spielte ich in einem Verein Basketball , indem ich mit 16 Jahren auch ehrenamtliche Schiedsrichterin und Trainerin wurde. Auch schulisch war ich in verschiedenen Gremien wie der Schülervertretung ehrenamtlich aktiv, entschied mich jedoch mit meiner Volljährigkeit im „Assyrischen Jugendverband Mitteleuropa e.V.“ (AJM e.V.) aktiv zu werden und legte meine anderen Ehrenämter ab. Der AJM e.V. stellt eine Migrantenjugendselbstorganisation (MJSO) dar, welche sich für die Belange und Interessen von jungen Menschen mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“ einsetzt. Dieser hat mich seit meiner Kindheit durch ein Angebot in den Sommerferien – dem „Camp Ashur“ maßgeblich mitgeprägt. In diesem Sommerferienlager für Kinder und Jugendliche wurde jedes Jahr ein Programm für junge Assyrer_innen angeboten, welches die Identitätsfindung, eine Vernetzung, einen Austausch mit gleichaltrigen mit den gleichen Wurzeln und daraus resultierenden ähnlichen Alltagserlebnissen förderte. Ebenso wurden durch die sportlichen, kreativen, bildenden und persönlichkeitsstärkenden Elemente die Teilnehmenden im Kollektiv und individuell gefördert. Nachdem ich dort jahrelang Teilnehmerin war, wurde ich mit meinem 18.Lebensjahr zu einer Leiterin dieses Projektes, ehe ich mit 19 Jahren und seitdem jedes Jahr Teil des Hauptorganisationsteams war. Durch den ständigen Kontakt mit dem AJM e.V. über Jahre hinweg, habe ich mich 2013 nach Gesprächen mit AJM e.V. Funktionären dazu entschlossen mich als Beisitzerin aufstellen zu lassen und bin seitdem ehrenamtlich im Vorstand des Dachverbandes. Durch viel Arbeit und Zeitaufwand folgten erfolgreiche Jahre des Wachstums der Jugendarbeit innerhalb des AJM e.V., welche 2017 zur Gründung des AJM-Landesverbandes NRW führte. Diesen Prozess habe ich gemeinsam mit vielen AJM‘lern betreut und bekleide seit der Gründung ehrenamtlich den Vorsitz dieses Landesverbandes, welcher sieben Gliederungen unter sich vereint und eigene Angebote konzipiert und durchführt.

Außerdem bin ich 2019 als Beisitzerin auch im Vorstand der djo – Deutschen Jugend in Europa e.V. aktiv, welcher bundesweit in der Jugendverbandsarbeit tätig ist.

Und wie kam es dazu, dass du dich ehrenamtlich engagieren wolltest?

Durch den AJM e.V. habe ich die Wichtigkeit von ehrenamtlichen Angeboten wie einem Camp Ashur, aber auch anderen Maßnahmen und Projekten wahrgenommen. Diese können für junge Menschen wichtige Momente der Selbstfindung, Beschäftigung, Abwechslung, Förderung und Auslebung der eigenen Interessen darstellen, ohne den Druck des Alltags, der Schule, anderer Institutionen oder Erwachsenen. Die Jugendverbandsarbeit bietet einen Raum für die freie Entfaltung der Kinder und Jugendlichen nach eigenen Interessen, aus denen eben diese vielen Schlüsse ziehen und somit selbstständig Lernen können. Sie führt zu einer stärkeren Identitätsbildung, Selbstorganisation, Selbstsicherheit, Partizipation und einem Empowerment, sofern die Möglichkeiten geboten werden.

Insbesondere für Kinder und Jugendliche mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“ bietet es ein weiteres Angebot und einen weiteren Raum des Austauschs, der eigenen Einordnung in die hiesige Gesellschaft und des ungezwungenen Seins ohne Vorurteile, Diskriminierung oder Bevormundung.
All diese Faktoren sind meines Erachtens, meiner Erfahrungen und Beobachtungen zu Folge ein Faktor für eine schnelle, ehrliche und nachhaltige Einbindung der Jugend in die Gesellschaft auf allen Ebenen.

Wie bist du zur djo – Deutsche Jugend in Europa gekommen?

Durch die Mitgliedschaft des AJM e.V. bei der djo – Deutsche Jugend in Europa e.V. kam ich in Berührung mit dem Verband auf Bundes- und Landesebene in NRW. Durch die jahrelange ehrenamtliche Zusammenarbeit und die Einblicke in die Arbeit im djo-Landesverband NRW e.V. seit meiner Anstellung 2017, erkannte ich viele Potenziale die in beiden Verbänden noch ungenutzt waren und wollte diese bündeln und fördern. Auch um die jugendpolitische Arbeit und die Arbeit mit MJSO und jungen Geflüchteten innerhalb der Strukturen voranzutreiben entschied ich mich dann2019 für eine Kandidatur als Beisitzerin in der djo – Deutsche Jugend in Europa e.V., wurde gewählt und bin seither auch hier ehrenamtlich tätig.

Was gefällt dir besonders daran?

Am besten gefällt mir am Ehrenamt per se, dass es neben den stressigen Phasen sehr viel Spaß macht. Man lernt sehr viele unterschiedliche Menschen aus ganz Deutschland und weltweit kennen, mit denen man sich austauschen und auch anfreunden kann. Es gibt immer schöne Schlüsselmomente und Erinnerungen, die im Laufe von Maßnahmen, Projekten oder Tagungen entstehen, welche man lebenslang mit sich trägt. Es entstehen viele neue Kontakte und das soziale Netzwerk wächst stetig.

Außerdem lernt man sehr viel und auch sehr vielfältig. Im Rahmen meines Ehrenamtes habe ich viel über mich, Individuen und Gruppen gelernt. Durch viel Austausch, viele ungewohnte Situationen mit den verschiedensten Menschen habe ich eine Sensibilität für spezielle Menschengruppen, Situationen und Themen gewonnen. Auch habe ich mir viele Methoden, Soft Skills, Prozesse, Abläufe, Strukturen und ein generelles Verständnis für die Jugendarbeit und den deutschen Staat angeeignet. Sie haben mich als Person mit meinen Erfahrungen und Herausforderungen wachsen lassen, sodass ich mich stetig weiterentwickeln kann.

Das Highlight der Jugendverbandsarbeit ist jedoch für mich immer wieder zu sehen und nachzuempfinden, was sie jungen Menschen gibt. Es gibt nichts Schöneres, als nach einer durchgeführten Maßnahme oder während des Austausches zu sehen, wie sehr diese Arbeit das Leben der Teilnehmenden bereichert und auch sie motiviert zurückzugeben.

Was möchtest du mit deinem Ehrenamt noch erreichen?

Mir ist vieles wichtig und ich möchte noch einiges erreichen. So möchte ich, dass das Schicksal der Assyrer_innen nicht ignoriert, negiert oder vergessen wird, da dies die Auslöschung eines ganzen Volkes bedeuten würde. Dies trifft mich als Assyrerin direkt, jedoch auch alle Menschen indirekt, da Kultur, Sprache, Historie und Wissen verloren gehen würde. Des Weiteren würde es unterstreichen, dass die Menschheit aus der Geschichte wirklich nicht lernt und diese sich dadurch immer wiederholen würde. Durch meine ehrenamtliche Arbeit soll dem Verlust entgegengewirkt und junge Assyrer_innen eingebunden und empowert werden, sowohl für sich, ihre Meinungen als auch Interessen einzustehen. Es soll für vergangene und gegenwärtige Gräueltaten, Missstände und Entwicklungen sensibilisiert werden, sodass Menschen jeglicher Herkunft bei Verbrechen nicht Stillschweigen bewahren sondern sich aktiv einsetzen. Zu schweigen bedeutet zu akzeptieren.

Ein weiteres Ziel im Rahmen meines Ehrenamtes ist weiterhin Menschen zu bewegen, sie zur Bildung zu motivieren, sie für weitere Themen zu sensibilisieren, ihre Stärken zu fördern und sie in die Strukturen der Jugendverbandsarbeit und des Ehrenamtes einzubinden, sodass auch sie aktiv werden. Sie sollen Teil dessen werden, was andere vor ihnen angestoßen haben, sodass die Nachhaltigkeit gewährleistet werden kann und neue Ideen einen Raum finden. Das Ehrenamt soll den Alltag bereichern und verschönern, Menschen erfreuen und zueinander bringen. Dies ist nur durch Strukturen nachhaltig zu gewährleisten, weshalb ich eben diese Strukturen noch mit aufbauen oder verfestigen möchte. Außerdem möchte ich Assyrer_innen, Frauen, junge Menschen in meinem Alter oder all diejenigen, die sich mit mir identifizieren können dazu motivieren mitzumachen und mitzugestalten – Seid aktiv!

Vielen Dank für das Interview!

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