Erfahrungsberichte Hospitationsprogramm
Bischkek, Kirgisistan und seine Jugend
Ein Erfahrungsbericht von Irina Sidorenko über ihre Hospitation in Bischkek, Kirgisistan im Frühling 2018
„Ich fliege nach Bischkek“ – mit diesen Worten erzähle ich meinen Freund_innen und meiner Familie, dass ich an dem Hospitationsprogramm der djo – Deutsche Jugend in Europa teilnehmen werde. Die Blicke von einigen verraten: nicht alle kennen das Land und haben keine Vorstellung, wohin meine Reise geht. Auch ist es für manche schwierig zu verstehen, was so ein Hospitationsprogramm bedeutet. Bis vor kurzem wusste ich es selber nicht so genau!
Ich lache, wappne mich mit viel Geduld und erkläre alles nach und nach, bis die fragenden Blicke verschwinden. Eine Weltkarte, die zuhause in meinem Wohnzimmer an der Wand hängt, kommt jetzt super gelegen. Ich zeige auf der Weltkarte „Hier… das ist Kirgisistan, hier liegt Bischkek, Bischkek ist die Hauptstadt von Kirgisistan und Kirgisistan ist ein Staat in Zentralasien. Ein Ex-Sowjetunionstaat und dort, paar Autostunden Fahrt von Bischkek entfernt, gibt es einen wunderschönen See, den Issyk Kul oder zu Deutsch „den heißen See“. Der Name kommt vermutlich daher, weil der See im Winter nicht gefriert. Die Kirgisen aber nennen ihren See auch „die Perle Kirgisistans“.
Ca. 7000 Kilometer Entfernung muss ich überwinden, dann kann ich sicherlich diesen von Bergen umringten See mit eigenen Augen sehen und meiner eigentlichen Mission „Einblicke in die Jugendarbeit in Kirgisistan“ nachgehen. Das Hospitationsprogramm gibt mir die Möglichkeit, einen Einblick in den Arbeitsalltag einer kirgisischen Jugendeinrichtung zu bekommen und zu erfahren, welchen Besonderheiten und Herausforderungen die Jugendarbeit in Kirgisistan gegenübersteht. Gesagt, getan! Nun sitze ich im Flugzeug der Turkish Airlines und bin tatsächlich sehr aufgeregt, was mich erwartet und wie ich in Kirgisistan zu Recht komme. Auch wenn ich Russisch spreche, was mir meinen Aufenthalt in Kirgisistan erleichtern wird, weiß ich schon jetzt, dass ich herausgefordert und als eine andere Person zurückkommen werde. Und genau diese Neugier sorgt für Aufregung und Ungeduld, endlich im Land anzukommen, um meine unvergessliche Erfahrung zu starten.
Jugendarbeit vor Ort
Einige „on board-Filme“ später und nach dem Staunen, wie schön die Natur ist, über die ich fliege, bin ich in Kirgisistan. Ich schon, aber mein Koffer ist in Istanbul geblieben, sodass ich mit leichtem Handgepäck vom Manas Bischkek Flughafen von einer Kollegin abgeholt werde. Es ist Wochenende und ich habe Zeit in Ruhe anzukommen und nach dem langen Flug auszuschlafen.
Als der erste Arbeitstag beginnt, mache ich für mich sofort eine Entdeckung: Arbeiten in Kirgisistan bedeutet, eine neue Welt zu entdecken. In meiner Aufnahmeorganisation, dem Institut für Jugendentwicklung, werde ich herzlich aufgenommen und mit einer Kennenlern-Runde beginnt der erste Tag, gefolgt von einer Führung durch das Haus und Vorstellung der Kolleg_innen und der Arbeitsbereiche. Heute ist das Institut für Jugendentwicklung eine der führenden Organisationen in Kirgisistan, die mit jungen Menschen zusammenarbeitet und die Entwicklung der Jugendpolitik vorantreibt. Die Prioritäten des Instituts sind die Stärkung der Beteiligung junger Menschen an Entscheidungsprozessen, die Verbesserung der Jugendfähigkeit und die Erfüllung der Bedürfnisse und Anforderungen junger Menschen in Kirgisistan in Zusammenarbeit mit staatlichen und kommunalen Behörden, internationalen und nationalen Organisationen.
Nach zahlreichen angelesenen Informationen über die Arbeit des Instituts und die kirgisische Gesetzgebung in Bezug auf die Jugendarbeit unterstützte ich das Institut bei der Auswahl von kirgisischen Freiwilligen im Rahmen des Freiwilligendienstes “Weltwärts”. Darüber hinaus war ich für die Analyse der „European Card“ und der deutschen Jugendkarte “Juleica” verantwortlich, mit dem Ziel der Entwicklung eines ähnlichen Konzepts der „Asian Youth Card“ und Anpassungsmöglichkeit in Kirgisistan. Auch setzte ich mich mit internationalen Plattformen und Organisationen auseinander, um Wege der Zusammenarbeit zwischen dem Institut und anderen aktiven Organisationen im Bereich Jugendarbeit zu gestalten.
Mit diesen Aufgaben habe ich ein Bild über die kirgisische Jugend bekommen – ihre Vorlieben, Nöte, Probleme und Zukunftsvisionen – all das gibt die Statistik gut wieder.
Für weitere Einblicke gehe ich jedoch einfach auf die Straße und tauche in das alltägliche Leben ein. Ich setze mich in den Park oder in ein Café, gehe auf den Bazar und beobachte dabei die Umgebung mit der Frage im Kopf: „Wie leben die Jugendlichen hier in Kirgisistan? Was bewegt oder motiviert sie? Unterscheiden sich ihre Wünsche und Träume von den Wünschen und Träumen der Jugendlichen in Deutschland oder auf der ganzen Welt sogar? Was sind ihre Ziele und was brauchen sie, um sie zu erreichen?“ Ich kann mit eigenen Augen sehen, was in der Statistik untergeht. Was ich für mich herausfinde: So viele Unterschiede gibt es eigentlich nicht. Nur sind nicht die gleichen Voraussetzungen und Möglichkeiten für die Entfaltung und Partizipation junger Personen gegeben. Aber man ist auf dem Weg und Projekte des Instituts wie „Jashtar Camp“ (Jugendcamp) oder das Programm “Prospects for Youth” zeigen, dass etwas bewegt wird.
Abgesehen von meinem Einsatz im Institut nehme ich mir Zeit, die wunderschöne Natur Kirgisistans zu entdecken. Dank meiner Kollegin, Carmen Heurich gelangte ich in das Jurtencamp Issyk-Kul und zusammen mit internationalen Gästen besuchte ich den Ala-Artscha Naturpark und das Hausmuseum des berühmten kirgisischen Schriftstellers Tschingis Aitmatow.
Mit viel Expertise zurück!
Mittlerweile neigt sich mein Einsatz in Bischkek dem Ende zu. Fast fünf Wochen sind so schnell vergangen. Ich habe viele Höhen, Tiefen und Abenteuer erlebt und Reisen und Arbeit miteinander verbunden. Als ich zurückfliege, geht mein Koffer schwer zu, weil ich viele Souvenirs nach Deutschland mitnehmen muss. Aber neben Souvenirs und arbeitsrelevanter Literatur nehme ich den größten Schatz mit. Die gewonnene Erfahrung, die mich ein Stückchen weiter zu einer Mini-Expertin über die Jugendarbeit in Kirgisistan gemacht hat und die neue Motivation, mich auch in Zukunft in diesem Land zu engagieren.
Irina Sidorenko
Hospitantin, Internationales Hospitationsprogramm
djo-Deutsche Jugend in Europa, Bundesverband e.V.
Jugendarbeit in der winterlichen Türkei
Ein Erfahrungsbericht von Beate über ihre Hospitation in Kayseri, Türkei im Herbst 2017
Eine Reise in die Türkei. Für mich Sommer, Sonne und Temperaturen über 30 Grad. Dass es in Kayseri anders werden würde, verriet mir vor meiner Ankunft Ende Oktober schon der Wetterbericht. Wie ähnlich der türkische Winter dem deutschen ist, spürte ich aber erst, als ich bei null Grad aus dem Flugzeug stieg und den schneebedeckten Berg Erciyes sah. Kein Wunder, die Stadt liegt in Mittelanatolien auf über 1000 Höhenmeter. Hier sollte ich die nächsten vier Wochen im Jugendzentrum der Abdullah Gül Universität (AGU) hospitieren und an Projekten für Studenten mitarbeiten. Eine für mich ebenso neue Erfahrung wie Schnee in der Türkei, da ich bisher nur ehrenamtlich mit Mittelschüler_innen gearbeitet hatte.
Aber die AGU machte mir den Einstieg leicht. Das fing bereits beim Campus an, der erst 2010 auf dem Gelände einer ehemaligen Textilfabrik entstanden ist und mit seinen Gebäuden aus Stahl, Glas und Beton moderner wirkt als viele westliche Unis in der Türkei. Gerade einmal 1000 junge Leute studieren hier – und zwar zu 100 Prozent auf Englisch. Die meisten von ihnen leben im gegenüberliegenden Student Village, einem Studentenwohnheim, das eher an eine Arbeitersiedlung als an eine klassische Studentenunterkunft erinnert. Entsprechend familiär ist das Zusammenleben. Jeweils vier Student_innen teilen sich eine Zweizimmerwohnung in einem Häuschen mit fünf solcher Wohnungen. Meine Mitbewohnerinnen waren Aysu, Güler und Zehra, die sich trotz straffem Stundenplan und ihrer Arbeit in verschiedenen Studierendenorganisationen regelmäßig Zeit für ein gemeinsames Picknick mit Tee und Kuchen mitten in der Wohnung nahmen. In diesen Teerunden verbesserte ich nebenbei mein holpriges Türkisch, das mir bis zum Ende der Hospitation viele Witze, aber auch die Bewunderung meiner Mitbewohnerinnen bescherte.
Meine sechs Kolleg_innen empfingen mich ebenfalls herzlich in der Youth Factory, dem Jugendzentrum der AGU. Die erste Mittagspause, verbunden mit einer kurzen Stadtrundfahrt, verbrachten wir in einem Lokal in Zentrum, wo wir uns bei Ayran und Kebab kennenlernten. Im Büro stattete mich Aytaç, mein Ansprechpartner während der Hospitation, mit eigenem Schreibtisch und eigenen Aufgaben aus. Dadurch fühlte ich mich schnell als Mitglied des Teams und arbeitete schon ab der ersten Woche an eigenen Projekten.
Dazu zählte vor allem ein Workshop zum Thema Storytelling, in dem ich Student_innen beibringen sollte, wie sie beispielsweise in Referaten oder Texten Informationen verpacken, um möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich nutzte dabei mein Wissen aus dem Journalismus und erhielt Unterstützung von einem Studenten, der über Erasmus+ einen Trainingskurs zu diesem Thema besucht hatte und Spiele und Übungen beisteuerte. Am Ende führten wir den Kurs mit etwa einem Dutzend Student_innen durch, die wir zuvor anhand ihrer Bewerbungen ausgewählt hatten. Sie schrieben gemeinsam Geschichten, bastelten Kollagen und diskutierten über die Wirkung von Medien. Obwohl die Organisation des Workshops – inklusive Designen von Flyern und Planung von Auflockerungsspielen – ein Riesenaufwand war, freute ich mich am Ende über die positiven Rückmeldungen zu meinem ersten eigenen Projekt in der Jugendarbeit.
Wie Profis mit den Studenten arbeiten, erlebte ich jeden Mittwoch live im interdisziplinären Seminar „AGU Ways“, wo Student_innen Lösungen für Umweltprobleme entwickeln. Ich war überrascht, mit wie viel Begeisterung und Kreativität mein Kollege Çaǧlar seine Gruppe leitete. Zwischen den einzelnen Arbeitsabschnitten baute er kurze Spiele ein, sogenannte Energizer. Wer zu spät kam oder störte, durfte aus der Punishment-Box einen Zettel mit einer Strafaufgabe, wie Ballett tanzen oder dem Sitznachbarn einen Kaffee spendieren, ziehen. Mir kam bei „AGU Ways“ die Rolle der Wissenschaftlerin zu, die die Methodik in den Lösungsansätzen der Studierenden bewertete.
Überraschend war für mich, wie stark die Jugendarbeiter an der AGU Social Media nutzen, um mit den Student_innen Kontakt zu halten. Sie kündigen sämtliche Veranstaltungen der Youth Factory auf Facebook und Instagram an und posten regelmäßig Bilder oder kurze Videos ihrer Aktivitäten, da viele Student_innen die Neuigkeiten auf diesen Plattformen aufmerksamer lesen als die E-Mails der Uni. Deshalb war es Aytaç sehr wichtig, dass ich mich an den Social-Media-Auftritten beteilige. Am Ende jeder Hospitationswoche produzierte ich einen kurzen Film** aus Fotos und Videos, die während meiner Arbeit und in der Freizeit entstanden sind, und erzählte von meinem Leben in der Türkei. Aytaç postete das Ergebnis auf Facebook. Für mich war es das erste Mal, dass ich Videos erstellen musste und obwohl ich von der Aufgabe anfangs nicht begeistert war, habe ich dabei eine Menge gelernt. Während ich mich in der ersten Woche noch Stunden durch das Schnittprogramm quälte, entstand mein letztes Video fast nebenbei. Die meisten Studenten erfuhren erst durch meine Beträge, dass es in der Youth Factory eine deutsche Hospitantin gibt, und einige kamen sogar vorbei, um mich live zu sehen.
Meine Freizeit verbrachte ich mit meiner Lieblingsbeschäftigung, dem Reisen. Kayseri selbst ist trotz der Größe von 1,3 Millionen Einwohnern an einem Tag besichtigt. Zu den Attraktionen zählen die Bürüngüz-Moschee, zwei Einkaufszentren und das Restaurant Elmacıoğlu, das den besten İskender Kebap der Stadt serviert. Dafür bietet das nur eine Autostunde entfernte Zentralkappadokien Sehenswürdigkeiten für einen kompletten Urlaub. Ich konnte mir leider nur bei einer einzigen Tagestour einen Überblick über die weltberühmte Höhlenarchitektur zwischen Tuffsteinformationen verschaffen. Die Landschaft dort wirkt so unecht und beeindruckend, dass ich den Ausflug zu den schönsten Erlebnissen in der Türkei zähle. Die Hauptstadt Ankara, wo ich ein Wochenende verbrachte, konnte mich aus touristischer Sicht nicht überzeugen. Allerdings nahm mich dort die Familie meiner Mitbewohnerin Güler herzlich auf, die eigentlich aus Kappadokien stammt. Und die selbst gemachten Mantı, gefüllte Teigtaschen, ihrer Mutter entschädigen für vieles.
Ein bisschen Sonne habe ich übrigens auch abbekommen. Die Youth Factory trug während meiner Hospitation das Evaluationsmeeting des internationalen Projekts „Challange to Change“ aus – und zwar nicht in Kayseri, sondern im 20 Grad warmen Izmir an der Ägäis. Da ich dort bereits zwei Sommersprachkurse absolviert hatte, begleitete ich Aytaç für fünf Tage und unterstützte die ausländischen Teilnehmer_innen bei der Orientierung in der Stadt. Zu meiner Enttäuschung war ihr Interesse an Shoppingcentern größer als an den antiken Stätten. Dennoch konnte ich sie für einen Ausflug nach Efes begeistern, der eine Abwechslung zur Projektarbeit bot, die hauptsächlich aus Vorträgen der einzelnen Organisationen sowie Diskussionen über eine gemeinsame Publikation für Jugendarbeiter bestand.
Nach vier Wochen Hospitation in der Türkei blicke ich auf einen Berg neuer Methoden für die Jugendarbeit, lustige Abende im Studentenwohnheim, spannende Reisen, viel zu viel leckeres Essen und Dutzende neuer Freund- und Bekanntschaften zurück. Und ich bin mir sicher: Ich komme wieder! Dann aber vielleicht in den lauwarmen Frühlingsmonaten. Denn wie ich gelernt habe: 40 Grad Außentemperatur sind in Kayseri im Sommer genauso gewöhnlich wie minus zehn im Winter.
Beate
Hospitantin, Internationales Hospitationsprogramm
djo – Deutsche Jugend in Europa, Bundesverband e.V.
**Hospitation von Beate in Videos:
How to write about Belarus?
Ein Erfahrungsbericht von Johanna Hiebl über ihre Zeit in Minsk, Belarus im Sommer 2018
Ja, wo sollte man da eigentlich anfangen? Und vor allem wie? Und wie komme ich dort überhaupt hin? In drei Wochen Hospitanz beim belarussischen Studierendenverband (kurz ZBS) in Minsk bekam ich einen Schnellkurs Belarus, viele interessante Einblicke in die belarussische Zivilgesellschaft und Kultur, sowie total symphytische Bekanntschaften gleich mitgeliefert. In einem Meer aus Eindrücken versuche ich euch nun einige Eindrücke zu filtern.
ZBS ist die älteste und leider auch einzige nationale studentische Organisation, die belarussische Studierende auch in der europäischen Studierendenunion vertritt. Als zivilgesellschaftliche Organisation setzen sich die Aktivist*innen vor allem für eine Verbesserung des Hochschulsystems, die Einhaltung und Schutz studentischer Rechte und Interessen, die Erhaltung und Popularisierung der belarussischen Sprache in Bildung und Wissenschaft ein.
In einem bunten Haufen junger Menschen aus unterschiedlichen Fachbereichen und Interessensgebieten fand ich mich schnell in einer motivierten Gemeinschaft wieder, die stets daran baute, die zivilgesellschaftlichen Strukturen in Belarus im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu stärken. Durch vielfältige Formate, wie ein Science Picknick, Infoveranstaltungen, Filmabende, Diskussionen und Vorträge wurden Expert_innen ins Boot geholt, sich kreativ ausgelebt und es fand immer ein reger Meinungsaustausch statt.
Überwältigt von diesem sehr intensiven Monat, der wirklich wahnsinnig schnell verflogen ist, bleiben mir viele Momente im Kopf hängen. Von der Lebendigkeit und Energie, die das Co-Working Space „Komnata 3/0/2“ versprühte, den frischen Geruch von Schokolade, der immer über der hippen Kastrychnickaja-Straße aus der nahegelegenen Fabrik hinweg wehte und dem Rattern der einfahrenden Metro – um nur einige zu nennen.
Gerade beim Abschied fielen oft die Worte, dass es den Aktivist_innen nicht so vorkäme, als wäre ich nur einen Monat hier gewesen. Wir waren einfach wirklich auf einem Nenner, sowohl arbeitstechnisch, als auch privat und ich bin wirklich dankbar in so einem Umfeld gestrandet zu sein und Stück für Stück durch ihre Gesichter Belarus entdecken zu können. Ich sehe diese Zeit als Beginn und auch Auslöser dafür, mich noch stärker mit der belarussischen Kultur und Sprache zu beschäftigen.
Ich bin immer wieder begeistert, mit welcher Energie und Tatkraft die Aktivist_innen Projekte entwickeln und umsetzen, auch wenn vielleicht gar nicht sicher ist, ob ihr Vorhaben nicht vielleicht verboten wird oder andere negative Konsequenzen tragen wird. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sich der Verein in den letzten Jahren neustrukturiert und aufgebaut hat. Ich konnte dazu immer wieder Parallelen zu meiner eigenen Vorstandsarbeit in der GFPS (Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa e.V.) wiederfinden und entweder konnte ich mein Wissen teilen oder selbst viel Neues dazulernen. Last but not least – nach meiner Hospitation weiß ich sowohl meine Möglichkeiten und Freiheiten zur studentischen Mitbeteiligung, wie auch das Studiensystem in Deutschland wieder mehr zu schätzen.
Neben den vielen neuen Erfahrungen, Bildern und neuen Geschmäckern zehre ich sicherlich lange von vielen gut gemeinten Worten oder der ansteckenden Neugierde. Wenn auch du neugierig geworden sein solltest, dann mich dich einfach auf nach Belarus. Es gibt so viel zu entdecken.
PS: Um auf die Anfangsfrage zurück zu kommen, hier einige Hinweise, was man beim Berichten über Belarus übrigens vermeiden sollte.
Johanna Hiebl
Hospitantin, Internationales Hospitationsprogramm
djo – Deutsche Jugend in Europa, Bundesverband e.V.
Ein Sommer am Flusse des Urals
Ein Erfahrungsbericht von Kristina Großehabig über ihre Hospitation in Tscheljabinsk, Russland im Sommer – Herbst 2016
„Tscheljabinsk? Aha…“ Das war die Reaktion einiger Freunde, als ich ihnen von meinem Reiseziel erzählte. Ja, Tscheljabinsk. In diese weit entfernte Stadt am Fuße des Urals, von der viele – wenn überhaupt – nur einmal in den Medien in Verbindung mit dem Meteoriteneinschlag im Februar 2013 gehört haben, sollte ich im Rahmen des Deutsch-Russischen Hospitationsprogramms der djo- Deutschen Jugend in Europa reisen. Voller Freude und Neugier auf eine fremde Stadt und ein mir unbekanntes Umfeld brach ich Mitte August dieses Jahres auf – um viele wertvolle Erfahrungen, schöne Momente und neue Freundschaften reicher kehrte ich drei Wochen später wieder nach Hause zurück.
Meine Hospitation in Tscheljabinsk verlief im Jugendclub der Russlanddeutschen „Zusammenspiel“. In dieser Zeit wohnte ich in einer WG mit dem Studenten Evgenij, der mich sehr gastfreundlich aufnahm und mir bei Fragen immer gern half. Von der Wohnung im Westen der Stadt konnte ich innerhalb weniger Minuten mit der Marschrutka das Stadtzentrum erreichen, wo ich mich meistens mit meiner Ansprechpartnerin Viktoria, der Leiterin des Jugendclubs, traf. Viktoria war während meiner gesamten Hospitation sehr zuverlässig und engagiert. Dank ihrer Mühe konnte ich mich schnell einleben und in den drei Wochen viel lernen.
Einen festen bzw. regelmäßigen (Arbeits-)Alltag hatte ich in Tscheljabinsk nicht. Stattdessen stand jeden Tag etwas Neues auf dem Programm, was für mich sehr spannend war. In den ersten Tagen sollte ich mich erstmal in der Stadt einleben. Viktoria zeigte mir einige Sehenswürdigkeiten und zentrale Plätze, aber auch die „deutschen Spuren“ in Tscheljabinsk, wie sie beispielsweise im Stadtteil Metallurgičeskij rajon zu finden sind. Zugleich lernte ich die Kooperationspartner dese Jugendclubs vor Ort und natürlich die russlanddeutschen Jugendlichen selbst kennen. Während unseres ersten gemeinsamen Treffens besprachen und planten wir die nächsten Projekte, wobei ich eigene Projektideen und Vorschläge einbringen konnte. Bei weiteren Treffen des Jugendclubs, die immer im „Dom Družby Narodov“ (Haus der Völkerfreundschaft) stattfanden, hielt ich Präsentationen zur djo-Deutschen Jugend in Europa, zu meinen ehrenamtlichen Tätigkeiten zuhause in Deutschland und zu meiner Heimatstadt Freiburg. Darüber hinaus unterrichtete ich die Jugendlichen in deutscher Sprache. Zudem trafen wir uns häufiger, um deutsche Filme zu schauen oder „typisch deutsch“ zu backen. Besonders viel Freude machte es mir, dass ich regelmäßig in der Universität in Tscheljabinsk im Deutschunterricht assistieren bzw. sogar ganze Unterrichtsstunden halten durfte.
Ich konnte einige interessante Veranstaltungen miterleben. So fand beispielsweise gleich in meiner ersten Woche eine Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Deportation der Russlanddeutschen statt, bei der ich deutsche Gedichte vortrug. Das ruhige, andächtige Beisammensein älterer und jüngerer Menschen, deren Vorfahren ein gemeinsames Schicksal teilten, war ein besonderer Moment. Eine weitere außergewöhnliche Veranstaltung war das Stadtjubiläum. Anlässlich dieses Jubiläums fand ein Kulturfest statt, bei dem die verschiedenen Kulturen bzw. Völker, die in Tscheljabinsk und Umgebung vertreten sind, sowie deren traditionellen Kleider vorgestellt wurden. Hierbei trat ich im Dirndl, das im Ausland häufig als „typisch deutsch“ angesehen wird, auf. Ein weiterer Höhepunkt meiner Hospitation war ein Tagesausflug nach Zlatoust, einer Stadt im Ural, die etwa 150 Kilometer östlich von Tscheljabinsk liegt. Dort besuchten Viktoria und ich das Gymnasium Nr. 10, das einen Schwerpunkt auf Deutsch als Fremdsprache legt, und besprachen mit den Lehrerinnen gemeinsame Projekte wie z.B. die Gründung eines Jugendclubs der Russlanddeutschen in Zlatoust.
Während meiner Hospitation habe ich einen sehr guten Einblick in die Arbeit des Jugendclubs der Russlanddeutschen in Tscheljabinsk erhalten, interessante Menschen kennen gelernt und viele neue Freundschaften geschlossen. Zudem durfte ich am Leben in einer russischen Großstadt teilhaben und konnte meine Sprachkenntnisse verbessern. Was mich besonders freut: Viktoria und ich haben uns zwei deutsch-russische Projekte überlegt („Umwelt und Umweltschutz“ sowie einen Geschenkaustausch), die wir gerne umsetzen würden. Besonders schön ist zudem die Tatsache, dass es mir gelungen ist, Jugendliche mit keinerlei Deutschkenntnissen für die deutsche Sprache und Kultur zu begeistern. So nahm beispielsweise Evgenij regelmäßig an Treffen des Jugendclubs teil und äußerte dabei den Wunsch, Deutsch zu lernen.
In Tscheljabinsk habe ich neue Ideen und Fähigkeiten im Bereich der kulturellen bzw. internationalen Jugendarbeit entwickelt. Dazu gehören das sichere Auftreten und Präsentieren vor einer großen Gruppe, das Berichten über mich und meine Heimat in deutscher, aber auch in russischer Sprache, der Austausch von Projektideen und die Planung dieser Projekte mit internationalem Charakter. Die Hospitation hat mich zudem darin bestärkt, weiterhin in der deutsch-russischen Jugendarbeit bzw. dem deutsch-russischen Jugendaustausch aktiv zu sein und auch in Zukunft immer wieder nach Russland zurückzukehren.
Kristina Großehabig
Hospitantin, Deutsch-Russisches Hospitationsprogramm
djo-Deutsche Jugend in Europa, Bundesverband e.V.
Jugendarbeit auf über 1000 Metern Höhe
Ein Bericht von Hicham Rhannam über seine Hospitationserfahrung in Kayseri, Türkei im Herbst 2018
Wenn man von Jugendarbeit spricht, gibt es nicht „die eine Jugendarbeit“. Jugendarbeit ist facettenreich, partizipativ und wirkungsstark. Aber unter anderem auch abhängig von Faktoren, wie landestypischen Sitten und Bräuchen. Gerade von dieser Vielfalt lebt die internationale Jugendarbeit und der rege Austausch über Landesgrenzen hinaus.
Aus diesem Grund war ich sehr gespannt, was mich in den drei Wochen meiner Hospitation an der Abdullah-Gül-Universität in Kayseri erwarten wird und welches Bild der türkischen Jugendarbeit sich mir vor Ort präsentieren wird.
Erst die Umgebung kennenlernen
Noch bevor meine Hospitation offiziell anfing, nutzte ich die Zeit am Wochenende, um die zentralanatolische Stadt Kayseri kennenzulernen und so mit meiner neuen Umgebung etwas vertrauter zu werden. Dazu gehörte das Stadtzentrum, dass zugleich auch zwei wichtige Sehenswürdigkeiten der Stadt beherbergt, zum einen die Zentralmoschee von Kayseri, die man aufgrund ihrer Kuppel und den beiden hohen Minarette schon von Weitem sehen konnte und zum anderen die Hunat-Moschee, eine Moschee aus dem 13. Jahrhundert, welche die damalige türkische Sakralbauweise aus Stein repräsentiert. Das besondere an der Aussicht vom Stadtzentrum, dem sogenannten “Meydan“, ist zudem, dass sich unmittelbar hinter der Stadt, der Berg Erciyes erstreckt. Aufgrund seiner Größe wirkt es fast schon so, als ob der Berg die Stadt beschützt und über sie wacht.
Am Sonntag in der Frühe, noch vor Sonnenaufgang, zog es mich nach Kappadokien, einer Region, die für ihre kegelförmigen Gesteinsformationen und nicht zuletzt für die unzähligen romantischen Bilder, mit den Heißluftballons im Hintergrund, weltweit bekannt ist. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, die Heißluftballons bei Sonnenaufgang aufsteigen zu sehen. Ein Frühstück im Freien mit diesem Ausblick ließ es zu einem unvergesslichen Moment werden!
AGU Youth Factory
AGU Youth Factory ist ein nicht-formales Bildungs- und Ressourcenzentrum an der Abdullah Gül Universität, das sich vor allem für die soziale und persönliche Entwicklung der Fachkräfte der Jugendarbeit und der Jugendlichen einsetzt und jährlich mehrere Projekte im Rahmen des EU-Programms “Erasmus+” durchführt. Meine Hospitation dort fing mit der Vorbereitung auf die Orientierungswoche für Studierende – sowohl für die Einheimische, als auch für die internationale. Zuerst beschäftigte ich mich mit diversen Programmen der Bildbearbeitung und Erstellung von Postern, da ich Flyer zur Orientierungswoche entwerfen sollte. Nach den ersten Hospitationstagen hatte ich auch direkten Kontakt mit Studenten – während für die Einheimischen generell ein neuer Lebensabschnitt mit dem Studium begann, war es für die internationalen Studenten mehr als nur ein neuer Lebensabschnitt, nämlich einer, der in einem fremden Land mit unheimlich viel Bürokratie startet, bei der zusätzliche Unterstützung notwendig war.
Darüber hinaus bestand meine Aufgabe darin, die Social Media Accounts der Youth Factory kennenzulernen und zu verstehen, wie die Netzwerke von der Youth Factory eingesetzt werden, da ich während meiner Zeit als Hospitant zu wichtigen Anlässen und Terminen über die Netzwerke Beiträge erstellt und geteilt habe, um somit unter den Studenten die Informationen besser zu verbreiten.
Bereits in der ersten Woche verstand ich, dass die Abdullah-Gül-Universität, die im Übrigen nach dem ehemaligen türkischen Staatspräsidenten benannt wurde, auf Innovationen setzt. Sie versteht sich schon jetzt als eine der führenden und innovativsten Universitäten innerhalb der Türkei und ist stets dem Fortschritt zugewandt. Dies spiegelt sich auch in den Bewerberzahlen und der davon hohen Anzahl an internationalen Studenten wider.
In der zweiten Woche fand die Orientierungswoche statt, in der sich die neuen Studenten bei gemeinsamen Mahlzeiten und Kennenlernspielen kennenlernen konnten. Besonders interessant waren für mich dabei die Einblicke in beide Gruppen. Die Youth Factory hat nicht nur Kennenlernspiele organisiert, sondern auch Informationsveranstaltungen zu den bestehenden Möglichkeiten von Auslandsaufenthalten während des Studiums geboten. Das zeigt auch wie sehr die AGU an einem internationalen Austausch interessiert ist und für wie wichtig sie die interkulturelle Kompetenz ihrer Absolventen hält, weshalb das International Office auch für die Studenten eine besondere Rolle spielt.
Neben dem gesamten Einführungsprogramm habe ich eine Präsentation über die Deutsch-Türkische-Jugendbrücke, einer Organisation die den Deutsch-Türkischen Austausch auf beiden Seiten fördert, vorbereitet und vorgestellt.
In meiner letzten Woche stand ein großes Ereignis bevor: AGU Talks. AGU Talks ist ein Format der Universität, welche in regelmäßigen Abständen Menschen einlädt, die einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben und in den verschiedensten Bereichen große Werke geleistet haben.
Abgesehen von meiner Zeit an der Youth Factory, die ich meistens in „meinem Büro“ verbracht habe, bin ich an den Abenden oft mit anderen internationalen Studenten unterwegs gewesen: vom Bazar, über moderne Einkaufszentren mit allen namenhaften Geschäften und Schnellrestaurants, wie man sie mittlerweile aus jeder Großstadt kennt, bis hin zu den verschiedensten Restaurants ist alles dabei gewesen.
Und wieder Natur!
Auch zum Ende meiner Hospitation fanden zwei schöne Ausflüge statt, die das International Office für die internationalen Studenten organisiert hat. Zuerst ging es an den Ort, den ich zuvor bereits unzählige Male aufgrund des Ausblicks bestaunt hatte: der Berg Erciyes. Am Ziel angekommen fuhren wir zunächst die erste Partie mit der Gondel hoch und stiegen im Anschluss noch weiter hinauf, bis wir die 3000 Höhenmeter erreicht hatten. Es machte sich nicht nur der starke Temperaturunterschied bemerkbar, sondern auch eine klare, aber stets dünner werdende Luft. Zurückblickend war dies für mich persönlich mit eines der eindrucksvollsten Erlebnisse in der Türkei. Am nächsten Tag stand das Freilichtmuseum Göreme in Kappadokien auf der Tagesordnung, wo noch einige Kapellen und Höhlenmalereien zwischen den unzähligen Tuffsteinformationen gut erhalten sind.
Nach drei Wochen Hospitation in der Türkei, gefüllt mit den verschiedensten Eindrücken, neuen Möglichkeiten international zu agieren und auch neuen Freundschaften, bin ich mir sicher, dass es für mich zwar das erste, aber nicht das letzte Mal in die Stadt auf über 1000 Metern Höhe ging.
Was nehme ich „Neues“ mit nach Hause? Definitiv mehr Geduld zu haben und nicht alles direkt in der nächsten Sekunde lösen zu wollen. Ebenso, dass es wichtig ist, egal wo man sich gerade befindet, immer man selbst zu sein.
Görüşmek üzere!
Hicham Rhannam
Hospitant, Internationales Hospitationsprogramm djo – Deutsche Jugend in Europa, Bundesverband e.V.