Junges (post)migrantisches Engagement durch vertrauensvolle Räume stärken und fördern
Viele (post)migrantische Jugendliche und junge Erwachsene sind ehrenamtlich aktiv, ihr Engagement ist sehr vielfältig. Doch stoßen sie dabei auf strukturelle Hürden: Neben den Herausforderungen, die junges ehrenamtliches Engagement im Allgemeinen begleiten, erleben sie Rassismus und Diskriminierung im Alltag, bringen teilweise (transgenerationale) Genoziderfahrungen mit und/oder leben in prekarisierten persönlichen und/oder familiären Situationen. Junges (post)migrantisches Engagement, das nicht die weiß[1] und bürgerlich geprägten Kriterien von Ehrenamt erfüllt, wie zum Beispiel Trainer_in im Sportverein oder Lesepat_in, wird zudem oft nicht als solches wahrgenommen. Dies hat verschiedene Auswirkungen. Junges (post)migrantisches Engagement wird unsichtbar gemacht, Engagierte erhalten teilweise wenig Unterstützung und/oder werden nicht als Expert_innen in eigener Sache wahrgenommen.
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen ist es für junge (post)migrantische Ehrenamtliche oft herausfordernd, Räume zu finden, in denen sie sich wohl und willkommen fühlen. Nicht im gleichen Maße wie Engagierte ohne Rassismus- und Genoziderfahrungen darauf vertrauen zu können, sensibilisierte Räume für die eigenen (Community-)Erfahrungen vorzufinden, erschwert ihnen die Teilhabe an Netzwerken – und damit den Zugang zu Ressourcen – zusätzlich. Wie wichtig Vertrauen als Voraussetzung für alle jungen Menschen dafür ist, das eigene Leben – und in der Folge auch Gesellschaft – mitzugestalten, betont der im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im September 2024 veröffentlichte 17. Kinder- und Jugendbericht. Seine Kernbotschaft lautet: „Zuversicht braucht Vertrauen“ [2].
Anknüpfend an diese Feststellung stellt sich für uns als Fachverband, der sich für die Stärkung (post)migrantischer Jugend(verbands)arbeit einsetzt und dessen Mitglieder sich zum großen Teil als (post)migrantisch definieren, die Frage: Wie können wir mit unseren Angeboten vertrauensvolle Räume schaffen, in denen sich junge (post)migrantische Engagierte mitgestaltend entfalten können? In diesem Sinne versuchen wir deren Expertise in unseren Veranstaltungen und gesellschaftlichen Fachdiskursen ins Zentrum zu rücken und wahrnehmbar(er) zu machen. Am Beispiel unseres jugendpolitischen Forums „Jugend > Migration > Zukunft 2“, das im November 2024 in Berlin stattfand, möchten wir eine Praxisreflexion als Beitrag zur Frage leisten, wie vertrauensvolle Räume in der (post)migrantischen Jugend(verbands)arbeit gestaltet werden können. Auf dieser Grundlage formulieren wir Handlungsempfehlungen für Akteur_innen in Politik und Verwaltung.
Ausgangspunkt unserer Überlegungen waren wir als hauptamtliches Organisationsteam der Veranstaltung selbst. Ausschließlich weiß positioniert und alle nicht mehr zur Gruppe der jungen Erwachsenen zählend, stellte sich von Anfang an für uns die Leitfrage: Wie können wir eine bundesweite jugendpolitische Fachveranstaltung organisieren, die sich ebenso an Akteur_innen aus Jugend(verbands)arbeit, (post)migrantischer Selbstorganisation und Politik richtet wie auch an junge (post)migrantische Engagierte? Unserer Erfahrung nach zentrieren (jugend)politische Fachveranstaltungen sowohl inhaltlich als auch methodisch meist erwachsene (hauptamtliche) Akteur_innen. Junge (post)migrantische Engagierte werden vor allem als Teilnehmende mitgedacht.
Vor dem Hintergrund unseres Selbstverständnisses die Selbstorganisation junger Menschen zu fördern und zu stärken, war uns eine partizipative Grundausrichtung der Veranstaltung wichtig. Um vielfältige Perspektiven von jungen (post)migrantischen Engagierten im Veranstaltungsdesign zu verankern, d.h. von der Konzeption bis zur Auswertung der Veranstaltung, haben wir verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten in der Veranstaltungsplanung und -durchführung angeboten:
- digitale Netzwerkumfrage mit dem Ziel, möglichst breit junge (post)migrantische Expertise aus der Praxis einzuladen (Themenvorschläge, Gäst_innen, Ideen fürs Rahmenprogramm)
- Moderation durch ein (post)migrantisches Tandem bestehend aus einer professionellen und einer ehrenamtlichen Co-Moderation
- Unsere Angebote für die Ehrenamtlichen: Qualifizierung der ehrenamtlichen Co-Moderation durch ein diskriminierungskritisches Moderationstraining, individuelles Coaching mit der professionellen Co-Moderation, Aufwandsentschädigung, Erstattung der Reisekosten
- junge (post)migrantische Peer-Creator für die Moderation verschiedener Kleingruppenformate während der Veranstaltung (Worldcafé, Mini-Fishbowls) sowie die Mitgestaltung des Rahmenprogramms (Zusammenstellung einer thematischen Playlist)
- Unsere Angebote für die Ehrenamtlichen: Qualifizierung durch ein diskriminierungskritisches Moderationstraining, Aufwandsentschädigung, Erstattung der Reisekosten
- Vertrauensteam als Ansprechstruktur für Teilnehmende, die sich während der Veranstaltung unwohl fühlen, bestehend aus hauptamtlichen ohne und ehrenamtlichen Mitgliedern mit Peer-Bezug
- Unsere Angebote für die Ehrenamtlichen: Erstattung der Reisekosten
- Beobachtende Peer-Begleitung durch (post)migrantische Teilnehmende aus unserem Netzwerk mit Fokus auf gesellschaftliche Machtstrukturen, Leerstellen sowie Emotionen
- Unsere Angebote für die Ehrenamtlichen: Get-Together am Folgetag, bei dem sich die ehemaligen teilnehmenden Jugendselbstorganisationen am Projekt „JEM – Jugendliches Engagement in Migrant_innenorganisationen“ (2021-2023) mit den (post)migrantischen djo-Mitgliedsorganisationen vernetzen konnten, Erstattung der Reisekosten, Übernahme der Übernachtung.
Insgesamt wirkten 23 junge Ehrenamtliche aus 11 (post)migrantischen Jugendselbstorganisationen an der Veranstaltung mit. Im Bewusstsein, dass eine öffentliche Fachveranstaltung kein safe(r) space für von Diskriminierung betroffene Menschen sein und der Austausch über Themen wie Rassismus, Sexismus, Prekarität oder Privilegien Unbehagen bei Teilnehmenden auslösen kann, formulierten wir Feel Good Guidelines[3]. Diese zu akzeptieren war Voraussetzung für die Anmeldung zur Veranstaltung. Damit wollten wir einen stärkenden Rahmen für Gespräche von Teilnehmenden mit und ohne beziehungsweise mit verschiedenen Diskriminierungserfahrungen in einem brave space[4] schaffen.
An der Veranstaltung nahmen knapp 80 Personen aus Fachkontexten teil (u.a. das Projekt YoungUP! des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats, Deutschlandstiftung Integration, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, Jugendpresse Deutschland). Zusätzlich zu den 11 (post)migrantischen Jugendselbstorganisationen, aus denen Ehrenamtliche an der Veranstaltung mitwirkten, waren weitere vor Ort vertreten, so dass der Anteil von jungen (post)migrantischen Engagierten mit knapp 60% sehr hoch war. Ergebnisse aus der Feedbackumfrage geben Einblicke in die Eindrücke der Teilnehmenden: 75% der an der Umfrage Teilnehmenden gaben an, dass die Fragestellungen der Veranstaltung für sie relevant bis sehr relevant waren. Alle gaben an, dass sie sich gut bis sehr gut vernetzen konnten. Als besonders wertvoll wurde die Interaktivität der Veranstaltung wahrgenommen. Schlaglichter aus der Peer-Begleitung und Feedback durch die Peer-Creator geben Einblicke in die Eindrücke der ehrenamtlich Mitgestaltenden: „Befangenheit zu Beginn wurde durch die zunehmende interaktive Programmstruktur schrittweise gebrochen.“ „Wahrgenommene Gefühle: Stolz, Resilienz, Solidarität, Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl.“ „Gefühle wurden sehr offen im Austausch ausgedrückt, sowohl Zustimmung als auch konstruktive Kritik bei Ablehnung.“
Handlungsempfehlungen
Folgende Erkenntnisse nehmen wir aus dem Praxisversuch mit:
- Vertrauensvolle Räume für junges (post)migrantisches Engagement beginnen mit macht- und diskriminierungskritischer Selbstreflexion der hauptamtlichen Organisator_innen. Da die Landschaft der Jugendverbandsarbeit in Deutschland nach wie vor weiß deutsch geprägt ist, ist hierfür intersektional ausgerichtete rassismuskritische Sensibilisierung notwendig.
- Partizipationsformate, die über punktuelles Mitwirken der Ehrenamtlichen hinaus gehen, können vertrauensvolle Verbindungen zwischen hauptamtlichen Organisator_innen ohne und Ehrenamtlichen mit Rassismuserfahrungen schaffen. Wichtig ist es dabei, dass weiße Hauptamtliche ihre Fähigkeit kultivieren, Raum für die Perspektiven (post)migrantischer Ehrenamtlicher zu schaffen. Dies bedeutet unter anderem sich Zeit zu nehmen, zuzuhören, genug Zeit für gemeinsame Arbeitsprozesse einzuplanen und immer wieder da loszulassen, wo Ehrenamtliche aus eigener Erfahrung sprechen können. Es bedeutet auch, Arbeitstreffen an deren Verfügbarkeiten auszurichten (unter der Woche abends, am Wochenende).
- Je stärker ein Format in Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen entwickelt und von deren Commitment getragen wird, desto wichtiger ist es, ihnen Qualifizierungsmöglichkeiten für ihre Aufgaben anzubieten und ihr Ownership auch finanziell anzuerkennen. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um Formate mit bundesweitem Wirkungsradius handelt, mit dem teilweise hohe Reise-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten verbunden sind. Die undifferenzierte Charakterisierung des Wesens von Ehrenamt als unentgeltlich verstärkt die strukturellen Ausschlüsse und Benachteiligungen jungen (post)migrantischen Engagements.
Abschließende Gedanken
Ehrenamtliches Engagement ist für (post)migrantische Menschen häufig Privileg und Notwendigkeit zugleich. Sie sind die von Rassismus Betroffenen und diejenigen, die sich gegen Rassismus und Diskriminierung, für Teilhabe und Empowerment, engagieren. Damit leisten sie einen grundlegenden Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland, der jedoch von der Mehrheitsgesellschaft bisher viel zu wenig (an)erkannt wird. Das muss sich ändern. Es braucht geeignete Maßnahmen, die die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmungsschwelle für die Vielfalt ehrenamtlichen Engagements an der Schnittstelle von Jugend und Migration senken. Unsere Praxisreflexion verstehen wir als einen Impuls in dieser Hinsicht, der zeigt: Es ist für privilegierte Organisationen mit weißem Organisationsteam möglich, Veranstaltungen anzubieten, die als vertrauensvolle Räume für junges (post)migrantisches Engagement wahrgenommen werden. Dafür braucht es die Bereitschaft der hauptamtlichen Organisator_innen zu Powersharing, indem junge (post)migrantische Engagierte beispielsweise in die Veranstaltungskonzeption und -umsetzung eingebunden werden und den Raum haben, ihre Perspektiven, Wünsche und Forderungen die die Veranstaltungsstruktur einzuweben. So kann auf verschiedenen Ebenen ein vertrauensvolles Miteinander entstehen, das wiederum die Art und Weise prägt, wie Teilnehmende auf der Veranstaltung miteinander in Kontakt treten. Daraus kann ein miteinander Verbündet-Sein entstehen, das über die Veranstaltung hinaus wirkt und junge (post)migrantische Engagierte stärkt.
[1] weiß meint keine Hautfarbe, sondern eine Norm, wenn es um gesellschaftliche und politische Teilhabe geht. Vgl. https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/weisse-deutsche/.
[2] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/17-kinder-und-jugendbericht-244628
[3] Die Guidelines sind abrufbar unter https://djo.de/wp-content/uploads/2025/03/Feel-Good-JMZ-2024.pdf
[4] https://ulexproject.org/wp-content/uploads/2024/07/Toolkit-for-creating-brave-spaces_print.pdf