Im letzten Jahr fand vom 7.10.2021 bis zum 10.10.2021 die djo-Jugendkonferenz in Berlin statt. Zu dem Thema „Erinnerungskultur in der Migrationsgesellschaft“ wurden zahlreiche Workshops abgehalten. Darunter auch „Orte der Vielfalt, Vielfalt von Orten – Eine digitale Landkarte der Erinnerung“, zu dem ihr hier einen Einblick erhaltet. Wir würden uns freuen, wenn ihr die „Erinnerungskarte” mit euren persönlichen Erinnerungsorten weiter befüllt, um ein ein vielfältiges Erinnern und verschiedene Perspektiven der Erinnerungslandschaft sichtbar zu machen!
Im Projekt arbeiteten Engagierte aus den Mitgliedsorganisationen der djo – Deutsche Jugend in Europa zu den Themen gesellschaftliche Vielfalt und Erinnerung sowie Erinnerung im Stadtraum. Mit einer Gruppe junger Menschen aus den Strukturen des djo-Bundesverbands sollte gemeinsam eine „Landkarte der Erinnerungsorte“ erarbeitet werden. Ausgangspunkt war dabei die kritische Auseinandersetzung mit der Vielfalt von Geschichten der Erinnerung und der Frage nach ihrer Sichtbarkeit im Stadtraum sowie im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs. So wurde unter anderem hinterfragt, ob sich die gesellschaftliche Vielfalt tatsächlich genügend im Blick auf Geschichte widerspiegelt. Gemeinsam wurde das gesamtgesellschaftliche „kollektive Gedächtnis“ in Augenschein genommen, was eben nicht die Erinnerung aller Personen(gruppen) gleichbehandelt. Diese Themen wurden in zwei digitalen Vorbereitungsseminaren kritisch, und gleichzeitig interaktiv und kurzweilig, bearbeitet und diskutiert.
Anschließend an die beiden digitalen Vorbereitungsseminare — und teilweise auch schon zwischen den beiden Seminaren — hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit darüber nachzudenken, welcher Alltagsort für sie selbst, für ihre Familie oder für die Gruppe, in der sie aktiv sind, eine besondere Bedeutung hat und ein „Ort der Erinnerung“ ist. Die Teilnehmenden sammelten Fotomaterial zu den von ihnen gewählten Orten und schrieben Texte, oder trugen einige Informationen zusammen, die anschließend in Textform aufbereitet wurden. Dieses Material wurde danach entsprechend bearbeitet und auf der Website www.erinnerungsorte.djo.de sichtbar gemacht. Die Startseite der Website beinhaltet die eigentliche „digitale Landkarte der Erinnerung“ — eine Deutschlandkarte, die interaktiv nutzbar ist: Jedem Erinnerungsort wurde entsprechend der Ortskoordinaten ein Pin auf der digitalen Deutschlandkarte zugeordnet. Durch Klicken auf die Pins öffnet sich ein kurzer Teasertext, der erklärt, um was für einen Ort und um welche Erinnerung es sich handelt und der mit einem Button versehen ist, über den sich die jeweilige Beitragsseite öffnen lässt. Von hier aus, können die Website-Besucher_innen die Erinnerungsorte erkunden, die jeweils auf eigenen Beitragsseiten vorgestellt werden. Acht Erinnerungsorte, die von Teilnehmenden des Projekts be- bzw. erarbeitet wurden, konnten auf der digitalen Landkarte gepinnt werden. Für jeden von ihnen ist jeweils eine eigene Beitragsseite entstanden, auf welcher der entsprechende Ort mit Text und Fotos vorgestellt wird. Dabei handelt es sich um ganz unterschiedliche Orte — z.B. einen Bahnhof, ein Seminarhaus, ein Kulturzentrum, einen Brunnen… Nicht nur die Orte selbst, auch die Geschichten sowie die Herangehensweisen der Teilnehmenden in Bezug auf ihre Auseinandersetzung mit ebendiesen waren vielfältig. Während einige Texte vor allem informativ und beschreibend gestaltet sind, sind andere sehr persönlich und lassen einen Blick in private Geschichten zu, die ihrerseits wiederum im Kontext von gesamtgesellschaftlichen und -historischen Zusammenhängen stehen, die so für die Leser_innen indirekt verständlich und erfahrbar werden.
Während der Jugendkonferenz in Berlin hatten wir zwei Tage, an welchen wir uns intensiv und ganz konkret in der Praxis mit den bisher erarbeiteten Themen auseinandersetzten. Zunächst haben wir uns unser gemeinsames „Ergebnis“ und Herzstück des Workshops angesehen, unsere Website mit den persönlichen Erinnerungsorten der Teilnehmer_innen. Hier sind intensive Gespräche weit über die persönlichen Erinnerungsorte hinaus entstanden sowie Ideen zu Erinnerungsorten, um welche die Karte noch ergänzt werden soll. Anschließend erkundeten die Teilnehmenden mit Hilfe der App „Actionbound“ das „Afrikanische Viertel“, wo sie sich mit Fragen der Kolonialgeschichte und Fragen der Repräsentation im Stadtbild auseinandersetzten. Dabei kamen sie auch ins Gespräch mit Anwohner_innen und Passant_innen, die unsere Diskussionen um bestimmte Perspektiven erweiterten. Am zweiten Workshoptag begaben sich die Teilnehmenden während eines Planspiels in die fiktive Stadt Talanaburg, in der unterschiedliche Gruppen um ihren ganz eigenen Erinnerungsort und ihre eigene Geschichte ringen. Ziel war es, entgegengesetzte Positionen, Bedürfnisse und Geschichten selbst kennenzulernen und nachzuspüren. Gleichzeitig wurde deutlich, wie schwierig es ist politische, ökonomische, persönliche, und gruppenbezogene Interessen und Bedürfnisse zusammenzubringen, insbesondere wenn es um eine Opfer-Täter-Perspektive geht. Anhand von Vorlagen sollten alle Teilnehmenden ihre eigene Vorstellung von einem idealen Erinnerungsort in Talanaburg erstellen, der sich sensibel mit den verschiedenen Geschichten auseinandersetzt und ein Erinnerungsort für alle sein kann. In einer mehrstündigen, intensiven Stadterkundung durch das „Afrikanische Viertel“ brachte Herr Mboro von „Berlin Postkolonial“ den Teilnehmenden nicht nur Hintergrundwissen zur deutschen Kolonialgeschichte näher, sondern thematisierte deren Kontinuitäten, und wie problematisch die unkritische Repräsentation der Kolonialgeschichte ist. Beendet haben wir die Projekttage mit einer längeren Reflexionsrunde zu unserem Workshop, aber auch zur Kolonialgeschichte.
Fazit: Die Teilnehmenden gehen mit neuen Erkenntnissen, Perspektiven und Eindrücken aus dem Workshop, die noch nachwirken und das Interesse stärken, sich weiter mit dem Thema auseinander zu setzen. Die digitale Karte, die innerhalb des Projektes entstand, wird über ebendieses hinaus durch die djo – Deutsche Jugend in Europa weiterbetrieben und -bespielt werden. Auf diese Weise ist die Karte als offenes und lebendiges Projektergebnis zu betrachten, was auch künftig zur Weiterentwicklung offensteht.
Verda Kaya, Maren Belinchon und Sanja Tol
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